Der Vorsitzende des KCID zum "Gesinnungstest" für Muslime

Der Vorsitzende des KCID zum "Gesinnungstest" für Muslime

islam.de-Interview mit dem Vorsitzenden des Koordinierungsrats der Vereinigungen des christlich-islamischen Dialoges in Deutschland (KCID) Murat Aslanoglu:

"Die Verfasser des Gesinnungstest schiessen gleich mehrere Eigentore"

islam.de: Was halten Sie als Baden-Württemberger von dem Einbürgerungstest?

*Aslanoglu: Ich lebe seit meiner Geburt in Baden-Württemberg und empfinde es als meine Heimat. Unser Land gibt sich gerne weltoffen, gerade im Jahr der Fußball-WM. Doch dieser Gesinnungstest ist mehr als eine weitere Peinlichkeit aus Stuttgart im Umgang mit Muslimen. Er ist ein Armutszeugnis für die Bürokratie und die Politik unseres Bundeslandes.
Wenn wir mal das Motiv der anstehenden Landtagswahl außen vor lassen, soll ja die bekundete Absicht des Fragebogens sein, die innere Hinwendung zu Deutschland zu überprüfen. Dafür ist dieser Test völlig ungeeignet. Integration erreichen Sie nicht mit Verhörmethoden. Mein Urteil lautet daher: Thema verfehlt. In der Schule wäre das die Note 5 bis 6.

islam.de: Warum?

Aslanoglu: Die Verfasser schießen gleich mehrere Eigentore. Zum einen sind die „richtigen“ Antworten sonnenklar. Man kann sich also auf den Test wie auf eine Fahrschulprüfung vorbereiten. Zum anderen verhöhnt der Fragebogen die eigenen Grundwerte wie die Menschenwürde, die Religions- oder Meinungsfreiheit. Sie wollen, dass die neuen Deutschen die Werte unserer Verfassung verinnerlichen. Doch Sie verstoßen mit ihren Fragen selbst gegen das Grundgesetz und aktuelle Gerichtsurteile? Das ist nicht gerade einleuchtend und vertrauensfördernd.
Am Ende des Fragebogens sollen die Eingebürgerten unterschreiben, dass ihnen die Ausbürgerung droht, wenn sie falsche Angaben machen. Hier wird mit einem faulen Trick ein Hintertürchen zur Ausweisung geöffnet, das ausdrücklich dem Artikel 16 des Grundgesetzes widerspricht. Die angedrohte Ausbürgerung ist ein gefährlicher Schritt, wenn man bedenkt, dass zuletzt im Dritten Reich deutschen Juden die Staatsbürgerschaft entzogen wurde. Deutsche Geschichte darf sich nicht wiederholen, auch und gerade nicht in den Anfängen.

islam.de: Was würde denn aus Ihrer Sicht Vertrauen fördern?

Aslanoglu:Ich habe den Eindruck gewonnen, dass diejenigen, die diesen Test zu verantworten haben, keinen echten Kontakt zu Muslimen pflegen. Doch genau hierin liegt der entscheidende Faktor einer gelungenen Integrationspolitik. Nämlich diejenigen Menschen einzubeziehen, um die es auch konkret geht. Stattdessen fragt man lieber zweifelhafte Berater, die weder einen wissenschaftlichen noch einen praxisnahen Bezug zum Thema haben und aus sehr subjektiven und realitätsfernen Motiven handeln. Diese Leute sind nicht die richtigen Ansprechpartner, wenn man es mit der Integration ernst meint.

Aslanoglu: Die Integration von Muslimen ist eines der wichtigsten Zukunftsthemen für unser Land. Jedes achte neugeborene Kind in Baden-Württemberg hat muslimische Eltern. Dass der Bevölkerungsanteil der Muslime steigt ist die Realität von heute. Leider verschließen immer noch viele Leute ihre Augen und Ohren davor. Wir können Lösungen für ein besseres Zusammenleben finden. Doch das geht am besten gemeinsam. Ich wünsche mir daher, dass unsere Landespolitiker mit denjenigen Muslimen ins Gespräch kommen, die sich in der Praxis für Integration und Dialog einsetzen. So können sie sich mehrere Meinungen einholen, um sich ein umfassenderes Bild zu machen als dies bislang der Fall ist. Dann wird dem einen oder anderen hoffentlich klar werden, dass die Lebenswelt der Muslime vielfältiger, differenzierter und bunter ist als gedacht.

islam.de: Was tun Sie, um dieses Gespräch in Gang zu setzen?

Aslanoglu: Ich habe im November einige Minister und die Fraktionsvorsitzenden im Landtag angeschrieben und meine Sorge über das ausbleibende Gespräch mit Muslimen in Baden-Württemberg kundgetan. Von zehn Landespolitikern haben nur zwei geantwortet. Das ist für mich ein klares Zeichen der Sprach- und Konzeptlosigkeit gegenüber Muslimen. Doch sehe ich erste Anzeichen, dass man in Baden-Württemberg aus der Sache mit dem Fragebogen lernen und verstärkt Kontakt zu Muslimen suchen wird.

islam.de: Sie würden also den Test abschaffen?

Aslanoglu: In der vorliegenden Form sollte der Fragebogen schnell zurückgezogen werden, weil er unter aller Würde ist. Das Privatleben normaler Bürger geht die Behörden nichts an
Ich finde es aber richtig und wichtig, dass es klare Regelungen zur Einbürgerung gibt. Diese können auch über das reine Unterschreiben einer Erklärung hinausgehen. Sie sollten jedoch für alle Einbürgerungswilligen gelten und einheitlich geregelt sein. Zum Beispiel könnten einbürgerungswillige Menschen, die offensichtlich keinen Gemeinschaftskunde-Unterricht in der Schule besucht haben, an Seminaren zum Werteverständnis und zur Staatsordnung unserer Republik teilnehmen.

islam.de: Es soll auch Freude machen, Deutscher zu werden?

Aslanoglu: Die Einbürgerung sollte meiner Meinung nach erleichtert werden, damit sich die Menschen hier auch wohl fühlen. Sie können sich vorstellen, dass die Entscheidung, die Staatsbürgerschaft zu wechseln, nicht von heute auf morgen geschieht. Das ist bei vielen Menschen ein über Jahre währender Bewusstseinsprozess, der auch stark von Gefühlen geprägt ist. Ich habe diesen Prozess auch durchgemacht und mich vor einigen Jahren bewusst für Deutschland entschieden. Leider hat es unser Land bisher nicht geschafft, dass die meisten der hier geborenen und eingebürgerten Menschen sich auch wirklich als Deutsche fühlen. Um beim Fußball zu bleiben: Sonst würden viel mehr Deutschtürken in der deutschen statt in der türkischen Nationalmannschaft spielen.

* Der Betriebswirt Murat Aslanoglu ist in Baden-Württemberg geboren und seine Eltern kommen ursprünglich aus der Türkei. Neben der christlichen Vorsitzenden Melanie Miel ist er der muslimische Vorsitzende des Koordinierungsrats der Vereinigungen des christlich-islamischen Dialoges in Deutschland (KCID).

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